Bad Arolsen / Waldeck – Nachtjäger bringt neun Briten den Tod

Bewegende Momente an einem unspektakulären Punkt im Wald zwischen Höhnscheid  und Freienhagen. Rod Vowler, Kriminalpolizist aus England und Angehöriger eines Ende des Weltkriegs II bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommenen britischen Luftwaffensoldaten, besuchte die Stelle, an der der Verwandte zu Tode kam.

Ein Bericht von Hans Joachim Adler – Veröffentliche in der Waldeckischen Landeszeitung (WLZ)

Die B 24 Liberator (“Befreier”), eine amerikanische Maschine, war nach Beschuss von einem deutschen Flugzeug in der Nacht vom 20. auf den 21. März 1945 abgeschossen worden. Wie in vielen Nächten zuvor, waren auch in dieser Nacht die Maschinen der Royal Air Force über Deutschland im Einsatz, um Ziele im Reichsgebiet anzugreifen.

Die 223. Squadron aus Großbritannien, die im Rahmen der 100.Bombergroup flog, hatte den Auftrag, mit einigen Lancaster -Bombern einen Großangriff auf Kassel vorzutäuschen. Dazu war eine amerikanische Liberator mit Störmitteln an Bord in den Angriffsverband integriert worden. Diese Maschine war  mit den damals modernsten elektronischen Gerätschaften ausgestattet und zeichnete sich durch eine hohe Reichweite aus.

Großangriff

Auch der englische Küstenschutz setzte diesen Maschinentyp zur Überwachung gegen die U-Boote ein, und das mit großem Erfolg.
Die Besatzung der Liberator mit der Kennung TS 526 6-GT hatte die Aufgabe, in jener Nacht am Ende des Krieges einen Lancaster  Verband zu einem Grossangriff auf Leipzig – Bohlen zu begleiten. Dort sollte die Raffinerie zerstört werden. Bei diesem Einsatz sollte auch ein Angriff auf Kassel simuliert werden, das 2 Jahre vorher durch Bombenangriffe schwer beschädigt worden war.
41 schwere Lancaster – Bomber flogen durch das “Kölner Loch”, hier wurden von den deutschen Nachtjägern die Abfangoperationen durchgeführt, ansonsten waren im restlichen Ruhrgebiet Flakgeschütze für die Bekämpfung der Bomber zuständig. Über Korbach hatte die Funkmessstelle “Kormoran” diese Flieger anvisiert und die Funkmessergebnisse an die im Luftraum befindlichen Nachtjäger weitergeleitet.

Nachtjäger

Hauptmann Hager flog mit seiner Besatzung – Funker Unteroffizier Schneider und Obergefreiter Bärwald als Heckschütze – in dieser Nacht mit seiner Bf 110 Messerschmitt im Bereich von “Kormoran”. Die Soldaten an den Bildschirmen führten den Nachtjäger bis auf zehn Kilometer an den Bomberverband heran. An Bord der Messerschmitt übernahm Unteroffizier Schneider die Erfassung über das bordeigene “Lichtenstein SN 2”. Vor wenigen Monaten eingeführt, war dieses SN 2 eine gewaltige Weiterentwicklung.

Dies hatte zur Folge, dass die Nachtjagderfolge gerade im März 1945 noch einmal stark anstiegen.
Auf der ebenfalls mit modernstem Gerät ausgestatteten Liberator sollte die neue Erfindung der Deutschen zum Verhängnis werden. Die B 24 der 223. Squadron kam zurück aus dem Luftraum von Kassel, wo sie ihre Störmittel abgesetzt hatte. Eine solche Maschine konnte einen ganzen Bomberverband vortäuschen. In diesem Zeitraum hatte sich im Bereich der Weidelsburg Hauptmann Hager mit seiner Bf 110 der Maschine bis auf Schussentfernung genähert. Kein Besatzungsmitglied der Liberator hatte wohl den deutschen Nachtjäger gesehen. Nur wenige Schüsse aus der deutschen MK 108 genügten, um die Maschine von ihrer Flugbahn abzubringen. Hager hatte nur wenig Zeit, denn schon wieder gab ihm Schneider Ortung übers Bordnetz bekannt. Eine viermotorige Maschine hatte sich als Zacken auf der Braunschen Röhre gezeigt. Mit Höchstgeschwindigkeit flog die Messerschmitt ihrem neuen Ziel entgegen.

Spezialisten

Was aber geschah von dem Zeitpunkt an, als die Liberator beschossen wurde, bis zu ihrem Absturz östlich von Freienhagen? Mit zehn Mann Besatzung hatte die B 24 drei Personen mehr an Bord als die normalen Bomberbesatzungen, aber jeder dieser Männer war ein Spezialist auf dem Gebiet der Kriegsführung. Viele dieser Maschinen durfte die Royal Air Force nicht verlieren.
Schon in der gleichen Nacht war eines dieser Flugzeuge über Dornheim bei Meschede abgestürzt. Die Spur der Trümmer zog sich über eine große Distanz, dass das Oberkommando der Luftwaffe keine genauen Erkenntnisse aus diesem Absturz ziehen konnte.

Neun Tote

Mit an Bord der B 24 TS526 war Sergeant L.J. Vowler, als die Maschine östlich von Freienhagen im Wald aufschlug, er bezahlte diesen Einsatzflug wie acht seiner Kameraden mit den Leben, nur einer der Besatzungsmitglieder kam mit dem Leben davon. Noch 1948 lagen die Trümmer im Wald. Angehörige der ums Leben gekommenen Luftwaffensoldaten hatten vor Ort die Reste fotografiert. Wenige Wochen später begannen Schrotthändler damit, die Reste des Flugzeuges abzutransportieren. Die amerikanische Besatzungsmacht hatte eine Freigabe für alle Kriegsaltlasten gegeben, sodass ein regelrechter Run auf derlei verwertbares Material einsetzte.

Rod Vowler, Polizeibeamter in England, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit diesem Fall, da sein Onkel in dieser Maschine ums Leben gekommen war. Ein Austausch mit deutschen Kollegen führte ihn zu einem Polizeibeamten aus Hannover, der ihn wiederum mit dem inzwischen pensionierten Wolfhager Oberstudienrat und Heimatforscher Bernd Klinkhardt bekannt machte. Klinkhardt hatte unter anderem ein Buch über die frühere deutsche Munitionshauptanstalt in Wolfhagen herausgegeben und befasst sich seit einigen Jahren auch mit dem Absturz der Liberator und konnte einem Major der Royal Air Force schon wertvolle Auskünfte erteilen.

Bewegende Momente

In diesen Tagen kam es zu dem Besuch der Absturzstelle. Auch Mitarbeiter der Arbeitsgemeinschaft Luftkrieg –
Ederbergland erlebten diese bewegenden Momente im Wald östlich von Freienhagen mit, berichtet AG – Mitglied Hans – Joachim Adler. “Ein bewegender Moment, der wohl jedem der Anwesenden unvergessen bleiben wird.

Rod Vowler an der Stelle stehend, wo sein Onkel am 20./ 21. März 1945 den Tod fand. Aber nicht die Spur von Hass war hier zu spüren, allein die Vergangenheitsbewältigung von ehemaligen Gegnern stand hier im Vordergrund.”

Treffen in Rothwesten

Der frühere Funker in der Messerschmitt, Schneider, ist am Karfreitag dieses Jahres gestorben, wie Adler berichtet.
“Auch er hat mit damaligen Feinden Frieden geschlossen; dies beweisen die Zusammenkünfte mit ehemaligen Fliegern in Rothwesten, wo sich Engländer und Deutsche, leider in diesem Jahr zum letzten Mal trafen, denn fast alle Angehörigen des jährlichen Treffens sind verstorben.”