Frankenberg-Schreufa – Jagdflugzeug FW190 bei Stoelcker produziert
Ein Bericht von Hans Joachim Adler
Geschichte der Stoelcker Stuhlfabrik in Schreufa
Am 15 Mai 1925 gründeten die beiden Unternehmer Alfred Schleier und Daniel Neuschäfer ein Werk zur Herstellung von Stuhlmöbeln. Otto Stoelcker, der dem Werk seinen Namen geben sollte, trat am 22 Juli 1927 in das Unternehmen ein und wurde am 10 Juli 1928 alleiniger Inhaber, nachdem er Daniel Neuschäfer ausgezahlt hatte und auch die Geschäftsanteile von Alfred Schleier übernahm. Nachdem die anfänglichen Probleme, bedingt durch die Weltwirtschaftskrise überwunden waren entwickelte sich der Betrieb gut und produzierte auch noch während des zweiten Weltkrieges bis zum Februar 1944. Im Jahre 1940 hatte es zwar einen Bombenabwurf auf die Schreufaer Fabrik gegeben, die Sitzmöbelproduktion wurde aber nicht wesentlich beeinträchtigt.
Rüstungsbetriebe in Kassel
In Kassel waren aber zu jener Zeit die Rüstungsbetriebe, darunter auch die Produktionsanlagen der Firma Fieseler, ständig durch Luftangriffe bedroht. Deshalb wurden sie teilweise in die umliegenden länglichen Gebiete ausgelagert. Allein in den Kasseler Fieseler-Werken mussten damals 6000 ausländische Zwangsarbeiter deutsche Rüstungsgüter herstellen. Gerhard Fieseler, der als Vater des „Fieseler Storches“ berühmt geworden ist, war selbst Kunstflieger und wurde nach Erringung der Kunstflugweltmeisterschaft 1934 als Nationalheld gefeiert – Aufträge aus dem Luftfahrtministerium folgten prompt. 1930 hatte Fieseler den Segelflugbau von Raab-Katzenstein übernommen und mit 30 Mitarbeitern seine Firma gegründet. Das NSDAP- Mitglied Fieseler setzte seine Hoffnungen in den „militärische Neuaufbau“ Deutschlands, und nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in 1933 profitierte er von den Entwicklung und Fertigungsaufträgen für die deutsche Luftwaffe. Der ganz große Aufschwung gelang Fieseler mit der Konstruktion des „Fieseler Storches“. 3000 Exemplare wurden davon gebaut. Ein weiteres Bauobjekt war die Flugbombe V1- Fi 103 (Tarnname – Kirchkern).
Nachdem die englische Luftaufklärung erstmals diese Flugbombe auf einem Startgestell in Peenemünde entdeckt hatte, bekam die Zerstörung der Produktionsanlagen die höchste Priorität. Da Kassel mit zum Kreis der Rüstungsstädte gehörte, waren die Bombenangriffe sehr heftig, allein in der Nacht vom 22/23 Oktober 1943 kamen in Kassel fast 10000 Menschen durch einen Angriff der Royal Air Force ums leben. Ab November 1943 flogen auch am Tage viermotorige Bomber der achten amerikanischen Luftflotte ihre Angriffe auf Kassel. Solche Tagesbombardierungen zeigten eine deutlich höhere Trefferquote und eine erhebliche Gefährdung für die Rüstungsindustrie. Daraufhin wurde von Reichsrüstungsminister Albert Speer die Dezentralisierung der Jägerproduktion in umliegende ländliche Gegenden angeordnet. Dies betraf auch die Firma Fieseler, welche um Kassel drei Flugzeugwerke unterhielt. Hier wurden Maschinen vom Typ Focke-Wulf 190 A8 in Lizenz gefertigt, um die Produktion aufrecht zu halten, waren die Gebäude der Firma Stoelcker eines der produzierenden Ausweichstätten.
LKW Kolonne aus Kassel nach Schreufa
In der Nacht zum 19 Februar setzte sich eine LKW- Kolonne von Kassel aus in Bewegung, die alles geladen hatte, was für den Start einer Flugzeugmontage nötig war. Alles war zusammengezogen worden, Techniker, Arbeiter, Gefangene und deportierte Zwangsarbeiter. Im Vorfeld waren bei der Firma Stoelcker die Hallen leer geräumt worden und die zur Holzbearbeitung nötigen Maschinen in die Bärenmühle im Lengeltal ausgelagert. Dort überstanden sie den Krieg unbeschadet in einer Scheune. In den Hallen wurden Pressluftleitungen verlegt und Pressluftniethämmer bestimmten nun die Geräuschkulisse im Werk. Nur 24 Stunden hatten die Organisatoren gebraucht um in Schreufa einen Neuanfang zu starten. Die noch vorhandenen Arbeiter welche nicht an der Front standen integrierte man in den Arbeitsprozess. Arbeiten musste jeder 12 Stunden am Tag und 72 Stunden in der Woche. Erste Maßname war auch das verlegen eines Gleisanschlusses an die Strecke Frankenberg-Korbach. Zum einen mussten die angelieferten Teile entladen werden und zum anderen gingen die fertigen Flugzeuge mit der Bahn auf die Reise nach Kassel wo sie eingeflogen wurden. Dazu kam der Rumpf in die Mitte des Waggons und die Tragflächen wurden in einem Gestell rechts und links daneben gestellt. Für die Arbeiter wurden im Eilverfahren Notunterkünfte errichtet, etwa 1500 Zwangsarbeiter waren in Schreufa beschäftigt. Die Fertigung lief auf drei Etagen im Gebäudekomplex, wobei Absaugungen und Lärmschutz ein Fremdwort waren. Wie ein Zeitzeuge berichtete, lag der gesundheitsschädliche Aluminiumstaub zum Teil zentimeterdick. Im Herbst des Jahres 1944 hatte sich die Luftlage immer mehr verschlechtert, wobei ein Luftalarm dem anderen folgte. Splitterschutzgräben reichten nun nicht mehr aus um die Arbeiter vor Bombenangriffen zu schützen. So entschloss sich die Werksleitung 300 Meter vom Firmengelände aus vier Stollen anzulegen, die aber gegen plötzliche Jagdbomberangriffe auch keinen Schutz boten. Zwar waren auf den umliegenden Anhöhen Beobachtungsposten stationiert, aber die schnellen Maschinen der Alliierten waren damals überall unterwegs. Ab Oktober 1944 wurde dann nochmals die Produktion auseinander gezogen, nun nieteten Zwangsarbeiter bei bitterer Kälte die Bleche auch im freien zusammen, nur geschützt durch Bäume unter denen aus Tarnungsgründen gearbeitet wurde. Bei Stoelcker arbeiteten damals Lehrlinge im Alter von 14-17 Jahren, diese waren in den Fieseler – Werken in Kassel drei Wochen lang geschult worden, nun mussten diese Auszubildenden Zwangsarbeiter bei der Flugzeugmontage beaufsichtigen. Private Gespräche waren strengstens verboten, Fehler der Zwangsarbeiter wurden schwer geahndet Die Verpflegung dieser Menschen war sehr schlecht, es herrschte eine ständige Angst durch Übergriffe auf deutsche Arbeiter. „Ein Butterbrot durften wir in ihrer Gegenwart nicht auspacken!“ so die Aussage eines damaligen Lehrlings.

Gegen Kriegsende nahmen die Luftangriffe und somit die Gefahr für den Rüstungsbetrieb in Schreufa immer mehr zu. Am 11 September mussten zwei Bf 109 Jagdflugzeuge in der nähe des Stoelckerwerkes notlanden. Als dann die Bombenangriffe auf Frankenberg erfolgten, griffen zeitgleich Jagdbomber vom Typ P47 Thunderbold auch das Werk in Schreufa an, wo es zu Bombenabwürfen kam. Schäden entstanden dabei aber nur auf den umliegenden Feldern. Acht Bomben zählte man nach dem Angriff wobei ein Blindgänger auf einem Feldweg im Boden stecken blieb. Mehrer Jahre fuhren die Eisenbeschlagenen Fuhrwerke darüber hinweg, wodurch sich das knapp aus dem Boden ragende Metall blank gearbeitet hatte. Jabos schickten die Alliierten mit den Bombern ins Zielgebiet, um beim Auftauchen von deutschen Jägern einen Begleitschutz zur Verfügung zu haben. Es grenzt fast ein Wunder, dass keine weiteren Angriffe auf die doch kriegswichtige Anlage geflogen wurden. Die große Anzahl an Zwangsarbeiter machte eine Geheimhaltung sehr schwierig, was damals auch allen bewusst war.
Am 29 März 1945 kam das Ende in der Fieseler – Produktionsstätte bei Schreufa. Während aus den Gebäudekomplex noch die Niethämmer dröhnten, fuhren Shermanpanzer der dritten US Panzerdivision auf der Ederuferstrasse Richtung Korbach. Erst als Infanterieeinheiten Schreufa besetzte, wurde die Arbeit eingestellt. Da es sich bei dem Werksgelände um ein weiträumig eingezäuntes Areal handelte, nutzten die Amerikaner sogleich als Kriegsgefangenenlager. Ab Mitte Mai 1945 waren auf dem Gelände 4000 deutsche Kriegsgefangene untergebracht. Das Stalag IX C, so die Bezeichnung für das Lager, war bis 1946 belegt. Im Februar 46 hatten die Amerikanischen Besatzer alle deutschen Kriegsgefangenen entlassen oder in andere Lager verlegt, nun konnte wieder an die Stuhlproduktion gedacht werden. Fast alle Holzbearbeitungsmaschinen lagerten in der nahe gelegenen Bärenmühle im Lengeltal, wo sie die Alliierte Kontrollkommission im Juli 45 nicht entdeckt hatte. Diese hatten alles mobile Gerät in den Hallen beschlagnahmt und abtransportiert. Dies geschah im Rahmen der Demobilisierung und Reparation. Die Maschinen in der Bärenmühle hatte niemand erwähnt. So konnten diese zurückgeholt werden und dienten als Grundstock für die wieder aufgenommene Produktion von Stuhlmöbeln. Die verbliebenen Reste aus der Flugzeugherstellung wurden von der Bevölkerung aus den umliegenden Gemeinden zweckentfremdet eingesetzt. So manches Dach wurde mit Flugzeugblechen gedeckt, Spornräder eigneten sich für Schubkarren und Schrauben konnten überall verwendet werden.
In den letzten Kriegstagen sollen noch Aktivitäten unternommen worden sein wonach eine Startbahn gebaut werden sollte, damit man die Flugzeuge von Schreufa aus direkt an die Front fliegen konnte, denn ein Bahntransport war sehr Risikoreich geworden. Hier sucht die Arbeitsgemeinschaft noch nach Zeitzeugen die über solche Unternehmungen berichten können.